Pfadfinder-Trophäe 1977

- Abenteuer in den Alpen, Teil 1 -


Thema: "Straßen, die über Wasserscheiden zwischen den Weltmeeren führen".

In diesem Jahr will ich erstmals meinen Urlaub mit der Pfadfinder-Trophäe verbinden. Ich möchte in den Alpen wandern, bin aber auch ganz heiß darauf, hohe Alpenpässe zu fahren. Da bietet sich diese Gruppe doch eigentlich an.

Vorbereitung

Die Vorbereitung beginnt erst einmal recht mühsam. Tagelang versuche ich, in Dortmunds Bibliotheken Bücher, Atlanten oder Karten zu finden, die genauere Angaben über die Hauptwasserscheiden in Europa enthalten. Die Suche bleibt erfolglos.

So muss ich also auf "Handarbeit" zurückgreifen. Zunächst zeichne ich in einen alten Atlas den groben Verlauf der Wasserscheiden ein. Für meine Urlaubspläne kommen West-Österreich, die Schweiz und der Raum Allgäu - Bodensee in Frage. Für diese Gebiete kaufe ich mir Detailkarten, in die ich den Verlauf der Wasserscheiden zwischen Nordsee, Atlantik, Mittelmeer und Schwarzem Meer einzeichne. Das Eintragen ist in den Alpen nicht problematisch, da man die Trennlinien wegen der hohen Gebirgszüge gut erkennen kann. Im Gebiet des Genfer Sees und vom Arlbergpass nach Norden hin wird es jedoch sehr unübersichtlich, da im relativ flachen Land sehr viele kleine Straßen die Wasserscheiden überqueren.

Schade, dass es keine Wasserscheiden durch die Alpen im Raum Salzburg gibt, denn so bleibt meine Fahrt zur Siegerehrung in diesem Jahr ohne Punkte. Trotzdem werden die "traditionellen" Tage in Adnet wieder zu einem der Motorradhöhepunkte des Jahres!

Danach arbeite ich die Hinfahrt aus. Von Dortmund über Sion will ich nach Nauders, am Dreiländereck A/CH/I, fahren. Von dort aus werde ich dann einzelne Touren durch die Alpen unternehmen. Im Flachland könnte ich zwar viel mehr Wertungspunkte erreichen, aber ich will Wettbewerb und Fahrspaß miteinander verbinden, ich will Alpenpässe fahren.

1. Fahrt: "Unaufmerksamkeit kostet Punkte"

Am 28. August geht es los. Über Basel und Bern fahre ich zunächst einmal bis Bulle. Von hier aus will ich bis Châtel-St-Denis, über drei Straßen über Wasserscheiden (=36 Punkte) fahren. Jedoch lerne ich hier die Tücken der Auslandsfahrt kennen, wenn man die Landessprache nicht beherrscht, in diesem Fall Französisch. Ich verwechsle Châtel mit Château und lande nach einiger Zeit in Château-d'Oex. Zur Umkehr bleibt leider keine Zeit. Aber ein "Pfadfinder" ist ja flexibel. Ich ändere meine Planung und fahre von hier aus über den Col des Mosses und über den Col du Pillon und verbuche hier jeweils 12 Wertungspunkte. In dem kleinen Wintersportort Veysonnaz, hoch über Sion, beende ich abends meine erste Etappe. Bei Steak und Bier notiere ich im Hotel die Ergebnisse des Tages und plane die Weiterfahrt.

2. Fahrt: "Donnerwetter, kann Wetter schlecht sein!"

Der nächste Morgen erwartet mich mit schönstem Sonnenschein. Schnell gefrühstückt und los geht's! Schon zwischen Sion und Sierre ist es mit dem Prachtwetter vorbei, und die Regenkombi wird zu einem wesentlichen Bestandteil meiner Ausrüstung. Der Regen wird immer stärker, und ich komme später als geplant in Gletsch an. Von hier aus mache ich einen Abstecher auf den Grimselpass (Wasserscheide Mittelmeer/Nordsee). Je höher ich fahre, desto kälter wird es. Mit steif gefrorenen Fingern dauert es auf der Passhöhe wesentlich länger als sonst, das Stativ mit Kamera und Fernauslöser aufzubauen. Trotz meiner Verspätung besuche ich danach erst einmal das Lokal auf der Passhöhe, um mich bei einer Tasse Kaffee aufzuwärmen.

Die Passabfahrt entbehrt nicht einer gewissen Spannung: Fahre ich mit geschlossenem Visier, so beschlägt es, lasse ich es offen, macht der Regen meine Brille undurchsichtig. Ich entschließe mich, mit halb offenem Visier zu fahren. Leider rasten die in dieser Zeit gebräuchlichen Visiere noch nicht ein, so dass ich einhändig fahren muss. Besonders prickelnd wird die Fahrt jetzt noch dadurch, dass die Grimselstraße gerade ausgebaut wird. Einhändig, halb blind, auf losem Schotter, in Kehren, steil bergab: Der Fahrspaß hält sich da schon in Grenzen, aber wenn man's hinter sich hat, war es schon ein tolles Erlebnis!

Beim Tanken, in Gletsch, stelle ich fest, dass ich mittlerweile schon zwei Stunden hinter meinem Zeitplan zurück bin. Jetzt muss ich aber mal einen Schritt schneller fahren! Kein Problem, ich habe mich ja schon an den Dauerregen gewöhnt! So rase ich also den Furkapass hoch. Ein fürchterliches Getöse begleitet mich. Das liegt aber nicht an der Honda, das liegt am Gewitter, das sich hier gerade austobt. Kurz hinter dem Rhonegletscher, dem ich leider nur wenig Aufmerksamkeit widmen kann, bleibt der Regen dann auf der Straße liegen - als NEUSCHNEE! Da ich als Flachländer nur wenig Schneeerfahrung besitze, und dann nur schlechte, komme ich jetzt nur noch mit 20-30 km/h vorwärts. Ob ich heute mein Ziel noch erreiche? Auf der Passhöhe fotografiert mich freundlicherweise ein Autofahrer. So bleibt mir die umständliche Prozedur des Stativ-Aufstellens erspart. Die Abfahrt nach Osten wage ich bis zur Schneegrenze noch vorsichtiger. In Andermatt vergesse ich dummerweise auch noch zwei Wertungsfotos, wieder 24 Punkte verloren!

Der Oberalppass erwartet mich mit dem nächsten Spaß. Bei weiterhin strömendem Regen erreiche ich die Passhöhe; bei anderem Wetter ein landschaftlicher Genuss, heute eine trübe Suppe. Ich freue mich, als ein längerer Tunnel ein wenig "Trockenheit" bietet. Draußen grollt einmal mehr der Donner. Irgendwann ist der Tunnel wieder zu Ende und ich rase wieder ins Freie. "Rasen" ist zumindest der richtige Ausdruck für das, was mich hier erwartet: eine Zentimeter dicke Hagelschicht! Behutsam verringere ich die Geschwindigkeit, bemüht, keine überflüssige Bewegung zu machen. Als ob das nicht schon abenteuerlich genug wäre, taucht vor mir, mitten auf der Straße, eine Kuhherde auf! Ich weiß nicht wie, aber irgendwie gelingt es mir, ohne Kuh- und Bodenkontakt (genau genommen haben nicht einmal die Reifen richtige Bodenberührung) durch die Herde hindurch zu kommen. Ich glaube, ich habe einen Schutzengel!

Kurz vor Chur scheint endlich die Sonne! Nach sieben Stunden Fahrt in Regen und Schnee lege ich eine kleine Mittagspause ein. Während ich eine halbe Tafel Schokolade esse, trocknet meine Regenkombi an den Lenkerenden. Nebenbei bemerkt: Diese dünne Regenkombi habe ich spottbillig in einem Mopedladen erworben; Sie hat nicht einen Tropfen durchgelassen!

Über den Flüelapass begleitet mich dann das nächste Gewitter. Das Wertungsfoto verschiebe ich. Ich bin sicher, dass ich in den nächsten Tagen noch einmal hier herfahre. Der Rest der Fahrt, durch das Engadin, ist dann regenfrei, und langsam zeigt sich immer mehr Landschaft! Vorfreude auf die nächsten Tage kommt auf.

Ein harter Tag wird schließlich doch noch von einem Schmankerl versüßt: die Straße vom Grenzübergang Hochfinstermünz nach Nauders! Eine Kette von 90-Grad-Kurven (trocken!) führt hinauf zum Ziel, beendet durch eine lange (Ziel-)Gerade mit schöner Sicht auf Nauders und den Reschenpass. Habe ich das mit der Vorfreude schon erwähnt?

Nach zehnstündiger Fahrt erreiche ich, leicht frierend, meine Unterkunft. Eine heiße Dusche, ein ausgezeichnetes Essen, ein paar Bier und ein Obstler - und schon werden neue Pläne gemacht. Sicher, ich habe nur 24 Wertungspunkte erreicht, aber ich habe mehr erlebt, als in den Jahren davor zusammen!